Nach dem Grenzübertritt nach New Mexico empfängt uns eine weite Prärie-landschaft aus hellem Boden, bewachsen mit Sagebrush, dem Wüsten-Beifuß. Das sieht fantastisch aus unter dem riesigen, blauen Himmel. Die Route 66 ist hier nicht asphaltiert, sondern eine glatte Schotterpiste. Vor Tucumcari wechselt sie aber wieder zurück zur Asphalt-Straße. Tucumcari ist eine unglaublich dichte Ansammlung von alten Route 66-Motels und vergangenen Tankstellen, von sehr schönen Murals, die jetzt eindeutig mexikanisch beeinflusst sind. Am Abend erreichen wir Santa Rosa und heute ist erst einmal Waschtag im örtlichen Laundromat. Anschliessend gehen wir zum ersten Mal in ein richtiges, mexikanisches Diner mit authentisch mexikanischem Essen.
Wir beschließen, von der klassischen Streckenführung der Route 66 zugunsten der Stadt Santa Fe abzuweichen, denn vor 1937 führte die ursprüngliche Route auch durch diese Stadt.
Santa Fe liegt auf über 2.000 Metern Höhe und ist eine Augenweide. Die Altstadt ist komplett im Adobe Stil erhalten und durch die warme, erdfarbene Tönung aller Gebäude einfach der Wahnsinn. Es gibt hunderte Läden mit Indianer-Schmuck, Töpfereien, gewebten Stoffen, Kunstgalerien der hochwertigsten Art. Es ist alles extrem geschmackvoll eingerichtet und präsentiert, es ist edel, superchic und superteuer. Hier gibt es keinen Tünnef, wie sonst häufig in touristisch belebten Altstädten. Auch die Hotels sind von elegantester Aufmachung, aber immer im originalen, indianischen Look. Santa Fe kann mit der ältesten Kirche sowie dem ältesten Haus der USA aufweisen. Im Hintergrund die hohen, schneebedeckten Berge - unten die warmen Pueblo-Häuser mit aufwändigstem Weihnachtsschmuck hergerichtet. Schöner geht es einfach nicht! Wir sind völlig begeistert und laufen am Nachmittag sowie noch einmal nach Einbruch der Dunkelheit durch die Altstadtgassen und schießen viele, unmöglich alle hier zu zeigenden Fotos. Am zentralen Platz der Altstadt wurde wirklich jeder einzelne Baum und Strauch von unten bis oben mit Lichterketten umwickelt. Jetzt noch einen Glühwein und es wäre perfekt!
Von Santa Fe ausgehend unternehmen wir eine Rundfahrt durch die Bergwelt nördlich der Stadt. Dort besuchen wir Taos Pueblo, die älteste durchgängig bewohnte Siedlung der gesamten USA. Man kann gegen Gebühr das Dorf besuchen, allerdings hat man einige Bereiche zu meiden, die tagsüber mit Holzbalken abgetrennt werden, um die Privatsphäre der hier lebenden Menschen schützen. Hier leben noch über 4000 Angehörige des Stammes der Pueblo-Indianer. Die Häuser sind verwinkelt aneinandergebaut und verfügen auch heute noch über keine Elektrizität, keine Sanitäreinrichtungen und auch kein fließendes Wasser. Dies ist von den First-Nations so gewollt, um Ihre Identität und ihre Traditionen zu wahren. Durch den Ort, dessen Boden aus gestampfter Erde besteht, fließt ein kleiner, glasklarer Bach über den ein kleiner Holzsteg führt. Es ist ein wirklich besonderes Gefühl, diesen völlig unveränderten Lebensraum der Pueblo-Indianer erleben zu dürfen. In der Mitte des Dorfes gibt es einen Gemeinschaftsplatz mit runden Lehm-Öfen zum Backen der Brote und Speisen, die allen Dorfbewohnern zugänglich sind. Um Punkt 16.00 Uhr müssen alle Besucher das Pueblo wieder verlassen und es gehört wieder ausschließlich den hier lebenden Menschen.
Von hier aus fahren wir noch zur Schlucht des Rio Grande. Wir überqueren diesen Fluß mit dem großen Namen über eine schöne Brücke und bleiben für die Nacht einfach direkt an der Schlucht unter einem sternenklaren Himmel stehen. Wir fühlen uns wieder, als wären wir die einzigen Menschen auf dieser Welt.
Die Stadt Taos ist wie Santa Fe komplett in indianischem Stil. Auch hier die gleichen, warmbraunen Häuser, viele Künstlerläden, viele junge Leute in Hippie-Kleidung. Hier sind alle Menschen scheinbar extrem entspannt und wahnsinnig viele leben von künstlerischer Arbeit. Man kann sich gut vorstellen, hier zu leben. Spektakuläre Landschaften, offene und entspannte Menschen, würzige, chilibetonte Küche .... was will man mehr? Michael findet einmal mehr ein besonders schönes Wandbild mit indianischer Bedeutung. Sofort kommt ein Einheimischer gelaufen und erklärt Michael den spirituellen Hintergrund des Gemäldes lange und ausgiebig. Er freut sich sehr an Michaels Interesse an dem Bild, und der Kultur der hier ansässigen Indians. Üblicherweise interessieren sich die Touristen nicht für solche Dinge, sagt er. Später auf unserer Rundtour fahren wir durch verschneite Wälder und können wieder mal einen längeren Spaziergang unternehmen, ohne andere Menschen zu treffen. Wir fahren noch zu einem hier liegenden Skigebiet, was aber noch zu wenig Schnee auf den Pisten hat, um die Skier auszupacken und eine Tageskarte zu erstehen.
Am Abend kehren wir noch einmal zurück nach Taos und sehen durch Zufall, dass hier heute ein größeres Event stattfindet. Die gesamte Altstadt wurde für einen Weihnachtsmarkt der hier ansässigen Kunst- und Handwerkerläden geschmückt. Es gibt überall etwas zu essen und zu trinken. Man kann scharfen Chili-Hühnchen-Eintopf, Tortilla, Chips mit Salsa, Süsses, Kekse, Brownies bekommen. Und alles gibt es umsonst! Wir futtern von allem, was es gibt. Selbst in den Geschäften bekommt man ein Getränk und eine leckere Süßspeise in die Hand gedrückt. Jeder bedankt sich für den Besuch in seinem Laden, wenn man geht, obwohl man gar nichts gekauft hat. Diese Freundlichkeit werde ich am allermeisten vermissen, wenn ich wieder nach Deutschland komme!
Nach diesen tollen Eindrücken führt uns unser Weg wieder hinaus in die freie Natur. Eine Fahrt am Rio-Grande entlang bietet sich bei diesem sonnigen und milden Wetter an. Der Fluss schlängelt sich hier durch liebliche Landschaft, gesäumt von gelben Gräsern und Sukkulenten. Hier ist wirklich niemand anderes unterwegs ausser uns! Es gibt hier ein paar Camps für Ausflügler im Sommer, aber jetzt sind alle geschlossen. Wie schön! Nach diesem kurzen Ausflug geht es zurück zur Route 66 in Richtung Albuquerque. Auf dem Weg gibt es wieder einmal einen dieser komplett verrückten Sammler von alten Autos, Zapfsäulen und anderen Devotionalien der 50-er Jahre. Hier haben wir eine kleine Reparatur am MAN vorzunehmen, denn der Dieselschlauch zum Reservetank hat sich gelöst. Bei Temperaturen um die 18° Grad bei strahlender Sonne ist das aber in Minuten behoben. Die hügelige Wüstenlandschaft hier ist wirklich traumhaft schön. Das finden scheinbar auch einige wohlhabende Menschen, denn südlich von Santa Fe stehen hier sehr schicke Häuser im Pueblo-Stil, die sich mit ihrer warmen, braunen Aussenfarbe fast unsichtbar in die Landschaft schmiegen. Auf unserer Runde entlang des Turquoise-Trails kommen wir nach Madrid, einem echten Künstler- und Aussteigerdorf. Hier gab es zahlreiche Minen für den Abbau von Türkisen und an deren Rändern bildeten sich kleine Dörfer mit dem Nötigsten für die Versorgung der Minenarbeiter. Heute wird hier der Schmuck der Indianer aus dieser Gegend verkauft. Sehr schöner Schmuck mit Türkisen und Silber, Töpferwaren, gewebte Kleidung und Teppiche sowie Korbwaren werden hier angeboten. Die Dinge sind sehr hochwertig gefertigt und auch entsprechend teuer zu erwerben. Dieser kleine Ort Madrid ist ein beliebter Ausflugsort für Harleys, Cabrios und Sonntagsausflügler aller Art. Nette Cafés und einige Kneipen runden das Ganze ab.
Am nächsten Tag starten wir zu einer Tour auf den Sandia Crest, einen 3.255 hohen Berg über den Sandia Byway. Uns wurde von der unglaublichen Aussicht mit Blick auf Albuquerque von hier oben vorgeschwärmt. Von Serpentine zu Serpentine wird es kälter und der Schnee nimmt zu. Wie es manchmal so ist, nebelt es sich kurz unterhalb der Aussichtsplattform auch noch komplett ein. Wir sehen - nichts! Es ist schweinekalt und zugig hier oben, also nix wie weg und wieder nach unten in die schöne, sonnendurchtränkte Landschaft der Sandia Mountains.
In Albuquerque angekommen besuchen wir als erstes die Altstadt. Die Stadt wirkt komplett mexikanisch. Der Baustil, die Bepflanzung, das Essen - Mexico lässt grüßen. Die Art des Weihnachtsschmucks hier ist wirklich besonders. Viele Häuser sind mit feuerroten Kränzen, Herzen und Büscheln von Chilischoten geschmückt. Caramba! Die Stimmung ist anders, aber sehr weihnachtlich und festlich.
Wir folgen dem Verlauf der Route 66 durch die Innenstadt von Albuquerque und durch die Vorstädte, die sich mit kleinen, mexikanisch anmutenden Häuschen, vielen christlichen und indianischen Wandbildern wirklich sehen lassen können. Später kommen wir durch gigantische, ebene und völlig menschenleere Landschaft. Dies ist alles Indianerland. Wir fahren stundenlang über Lehmpisten, ohne irgendeine menschliche Behausung oder einen Menschen zu sehen. Die Reservate hier sind fast so groß wie ein Bundesland bei uns. Wir sind uns nicht immer sicher, ob und wo wir hier überhaupt fahren dürfen. Und so kommt es auch, dass wir irgendwann vor einem Zaun stehen - Gesperrt! Indianerland für Unbefugte strengstens verboten. Super! Nachdem wir hier schon stundenlang durch die Landschaft gerumpelt sind. Also wenden! In diesem Moment kommt ein Jeep von der anderen Seite des Zaunes angefahren und eine Indianerin steigt aus und bestätigt uns: Hier kommt ihr nicht rein! Als wir ein bis zwei Kilometer zurückgefahren sind, prescht ein anderer Jeep hinter uns her und bedeutet uns durch Blinken, dass wir anhalten sollen. Au weia.... ein Indianer-Ranger sagt uns, dass wir hier gar nicht sein dürfen und das Indianergebiet verlassen müssen. Wir erklären ihm, dass wir keine Verbotsschilder gesehen hätten und wieder zurückfahren. Er sagt freundlich, wir sollen wenden und wieder zum Zaun fahren. Begleitet durch ihn dürfen wir also doch das verbotene Land durchqueren. Er bleibt die ganze Zeit auf der staubigen Piste hinter uns bis wir wieder auf eine asphaltierte Straße treffen. Auch die gehört zwar den Indianern, aber hier dürfen wir alleine weiterfahren, wenn wir versprechen, uns auf keine Nebenstraße mehr zu begeben. OK, also das mit dem Indianereigentum wird hier wirklich ernst gekommen. Aber das ist auch mehr als angemessen in Anbetracht der Geschichte der Urbevölkerung der USA. Nach einigen Kilometern erreichen wir Sky City, die auf einem Berg gelegene Stadt der Acoma Indianer. Diese Stadt auf dem schroffen Hochplateau, kann man mit indianischem Führer in deren Bus besuchen - allerdings nicht mehr zu dieser Jahreszeit. Ein am Parkplatz stehender Indianer mit Jeep empfängt uns und bietet uns an, alles über die Entstehung des Dorfes und der Lebensform und Geschichte der hier lebenden Stämme zu erzählen. Dies täte er ohne etwas dafür zu verlangen. Wir nehmen natürlich dankbar an und lauschen ca. 20 Minuten lang seiner sehr interessant vorgetragenen Geschichte über das Volk der Acoma. Am Ende zeigt er uns seine Kunst und die seines Kumpels der an einem anderen Fahrzeug seine Produkte anbietet. Wir kaufen bei beiden etwas, denn die Sachen sind sehr geschmackvoll und schön und es hat auch Spaß gemacht, dem Vortrag zu lauschen.
Wir haben uns noch eine Rundtour durch El Malpais (Badlands) vorgenommen. Eine schöne Lavalandschaft mit Sandsteinformationen und sogar einem richtig großen Steinbogen (Arch). Diese Tour ist zwar wieder nicht der Route 66 folgend, aber hier gibt es ja rechts und links derartig viele fantastische Landschaften zu bewundern, so dass diese zusätzlichen Schleifen einfach sein müssen. Hier ist es wiederum fast völlig menschenleer. Wir klettern abenteuerliche Pfade herauf, um unter den Steinbogen zu gelangen. Das Ergebnis ist es wert! Die meisten Naturschönheiten hier kann man nicht auf Rentnerwegen erklimmen. Es ist schon etwas Einsatz und oft auch Schwindelfreiheit erforderlich. Für die Nacht gibt es hier sogar einen Naturcampingplatz ohne Schranken und ohne Berechnung. Jeder Stellplatz hat eine überdachte Sitzgruppe und bis zum nächsten Stellplatz ist es weit genug, so dass man seinen Nachbarn gar nicht sehen müsste, wenn denn einer da wäre. Traumhaft ruhige Nacht unter gigantischem Sternenhimmel. Nach dieser Tour muss Michael unbedingt noch eine Nebenstrecke auf unbefestigter Lehmpiste fahren - die Chain-Of-Craters-Tour. Eine mehrstündige Fahrstecke an sieben erloschenen Vulkanen entlang. Danach habe ich erst einmal wieder genug von diesen Holper- und Ruckelpisten für die nächsten Tage.
Wieder zurück auf der Route 66 erreichen wir Gallup, eine komplett indianische Stadt an Rande New Mexicos. Es gibt hier unzählige Motels und noch mehr Geschäfte für indianische Handwerkskunst. In einem riesigen Laden werden die Waren einzelner indianischer Künstler von einer Art Genossenschaft angeboten, jedes Stück mit einem Zertifikat mit Informationen über den Künstler ausgestattet. Ich verliebe mich rettungslos in einen Tontopf in wunderschönen Gravuren und Farben. Der Preis schreckt mich nicht einmal, aber die Vorstellung, dieses Stück die nächsten 10 Monate bis zu unserem ersten Heimaturlaub jetzt unbeschadet durch die halbe USA zu schaukeln, lässt mich sehr schweren Herzens vom Erwerb Abstand nehmen.
Wir verlassen New Mexico bei einsetzendem Schneefall mit einem wehmütigen Gefühl, denn dieser Staat war bisher der Schönste und Abwechslungsreichste für uns. Aber mal schauen, was noch so kommt.....