Am Dienstag, dem 15.November starten wir an einem grauen Morgen in Chicago mit dem Plan, die gesamte historische Route 66, die Mother Road, zu befahren. Diese Strecke mit einer Länge von rund 4000 km war die erste durchgehend geteerte Strasse quer durch die USA und führt durch insgesamt 8 Bundesstaaten. Sie durchquert Illinois, Missouri, Kansas, Oklahoma, Texas, New Mexico, Arizona und Californien. Im Herzen von Chicago, an der Ecke des Jackson Boulevard und des Lake-Shore Drives beginnt das Abenteuer. Das passende Schild für den Beginn der historischen Route markiert den Start. Zuerst springe ich (Petra) noch schnell am French Market aus dem Auto, um noch ein französisches Baguette zu kaufen, während der MAN im Halteverbot steht. In den Vororten von Chicago fotografiert Michael noch ein paar seiner geliebten Wandbilder und dann verlassen wir die Stadt auf der berühmten Straße.
Die erste Ikone hinter Chicago ist die Neonreklame von Henry`s Hot-Dog-Diner. Wir fahren durch Berwyn und kommen nach Joliet. Direkt am Straßenrand und bei strahlend blauem Himmel finden wir das nostalgische Ice-Cream Büdchen. Auf dem Dach tanzen natürlich die Blues Brothers - (Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs...). Ein Stückchen weiter in Joliet steht noch eine wirklich sehenswerte alte Werkstatt, in der aber noch gearbeitet wird. Für uns sind diese Orte einer vergangenen Zeit die Attraktion - für die Amerikaner sind wir, überall wo wir anhalten, die Attraktion. Wir fotografieren und werden fotografiert, immer verbunden mit einer Unterhaltung über unseren Reisehintergrund.
Nach dem Besuch des Route 66-Museums in Joliet finden wir den aus allen Reiseführern bekannten ¨Gemini Giant¨, eine riesige Werbefigur in Gestalt eines Astronauten. Der sollte Werbung für das Diner ¨The Launching Pad¨ machen. Leider ist das Diner zu verkaufen und derzeit geschlossen, obwohl drinnen alles für sofortigen Betrieb bereitsteht.
Die nächste echte Attraktion ist das Polk-A-Dot Diner aus dem Jahr 1956 - zufällig Michaels Geburtsjahr. Es ist alles so liebevoll gepflegt und dekoriert, dass uns die Chilli-Cheese-Dogs und Chilli-Cheese-Burger mit Chilli-Cheese-Fries (keine Gedanken an die Kalorien, bitte) noch besser schmecken. Auf jedem Tisch ist noch eine alte Münz-Musikbox angebracht, mit der man früher für einen Vierteldollar 3 Songs abspielen konnte. Überall stehen Pin-Ups und natürlich die Stars der Zeit wie Marylin, Elvis, Betty Boop, James Dean usw. Auch die Fotos an den Wänden lassen die Zeit der 50er Jahre wiederaufleben. Wir kommen durch den Ort Dwight mit einer fantastisch hergerichteten Tankstelle. Wir sind noch keine 2 Minuten aus dem MAN heraus, da kommt bereits ein älterer Mann mit seinem Auto und erklärt uns voller Stolz Details der Tankstelle und gibt uns auch gleich Prospektmaterial für die Route 66. Wir erleben hier die ganze Zeit, dass die Leute sich richtig am Interesse der Fremden freuen und auch stolz auf ihre Heimat sind.
An vielen Stellen sehen wir neben der Hauptstrecke noch grasbewachsene Platten der alten Strasse, die man heute nicht mehr benutzen kann. Als wir wieder einmal anhalten, hält sofort neben uns ein PKW und vier ältere Mädels springen heraus. Alle tragen Route 66 T-Shirts. Sie sind Freundinnen und Klassenkameradinnen, die allesamt in diesem Jahr 66 Jahre alt geworden sind und zur Feier dieser Tatsache zum ersten Mal auf der Route 66 fahren wollen. Sie fotografieren uns, wir fotografieren sie und mit viel Hallo verabschieden wir uns wieder.
Am Rande der Straße sieht man unzählige alte und verrostete Autos als Zeugen einer vergangenen Zeit, ebenso eine endlose Ansammlung von Schrottplätzen mit teilweise wirklich alten Schätzchen. Oldtimerfreaks kommen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten. Die Amerikaner selbst fahren in den meisten Staaten, die wir bisher durchquert haben aber überwiegend Pick-Ups mit dem tiefen Sound der 8-Zylinder-Motoren.
Wir erreichen die kleine Stadt Pontiac, die Ihre Glanzzeit offensichtlich in vergangenen Jahrzehnten erlebt hat. Die Main Street ist extrem breit, rechts und links davon kleine Backsteinhäuser mit alten Fassaden und vielen leerstehenden Geschäften. Dominiert wird der Ort von einem wirklich sehr großen und schönen, für diesen kleinen Ort total überdimensionierten Rathaus. Auf den Strassen fallen die wenigen Autos kaum auf und alles vermittelt einen recht verschlafenen Eindruck. Natürlich gibt es auch in Pontiac ein Route 66 Museum auf dessen Besuch wir verzichten. Vor dem Museum steht ein sehr alter umgebauter School-Bus, welcher von dem Künstler und Kartographen Bob Waldmire genutzt wurde. Er hat unzählige Murals (Wandbilder) und Zeichnungen von Details der Route 66 angefertigt, die sein Lebensinhalt war. Beim weiteren Rundgang entdecken wir das kleine, unglaublich liebevoll ausgestattetes Museum der alten Auto-Marke Pontiac, welches von einer uralten Dame betreut wird. Es macht uns viel Spass, die einwandfrei restaurierten alten Fahrzeuge, die alten Zeitungsauschnitte, Blechschilder und anderes Zubehör zu betrachten. Das Museum kostet keinen Eintritt, aber man kann natürlich etwas kaufen oder eine Kleinigkeit spenden. Der Ort hat ausserdem einige schöne Wandbilder, die Michael für seine Foto-Sammlung begeistern.
Als nächster Ort auf unserem Weg entlang der Route 66 ist Atlanta erwähnenswert. Auch hier eine Stadtkulisse wie aus einem alten Film. Eine riesengroße Paul Bunyan-Statue steht hier mit einem
Hot-Dog anstelle der Axt in den Händen. Paul Bunyan ist eine Sagengestalt aus Nordamerika. Die Sage behauptet, dieser Holzfäller sei so riesengross, dass der Abdruck seiner Füsse die großen Seen hat
entstehen lassen. Es gibt ein altes, historisches Diner aus den 20-er Jahren, welches wir natürlich zum Mittagessen besuchen müssen. Auf der Karte steht sogar leckerer Hackbraten mit Kartoffelbrei
und grüne Bohnen anstatt der sonst allgegenwärtigen Hamburger und Fritten. In Lincoln finden wir noch eine alte, durch Privatinitiative restaurierte Mühle, dann machen wir uns auf den Weg nach
Springfield - der Stadt des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincolns, der hier eine würdige letzte Ruhestätte gefunden hat. Frühmorgens besuchen wir sein gigantisches Grabmal und reiben
die Nase von seinem bronzenen Gesicht, welches vor dem Mausoleum aufgestellt ist. Das soll angeblich Glück bringen, und wenn man die blankgeriebene Nase sieht, wird dieses Glück auch von Tausenden
von Besuchern ersehnt. Was er selbst über diese doch etwas entwürdigende Prozedur gedacht hätte, können wir nur ahnen.
Im Cosy Diner in Springfield müssen wir natürlich die berühmten Corn-Dogs, mit einem Maismantel umgebene Würstchen mit Holzstiel, probieren. Kann man essen.
Anschließend geht es weiter in Richtung St. Louis, wo die Sonne von einem strahlendblauen Himmel lacht und so beschließen wir eine kleine Schleife, abweichend von der Route 66, entlang des Mississippi zu fahren. Direkt neben dem Fluss, der gelegentlich ein wenig an die Landschaft entlang des Rheins erinnert, finden wir ein historisches Örtchen wie aus einem Märchenbuch. Die alten Häuser und die dort herrschende Atmosphäre verzaubern sofort. Es führt nur eine Straße durch den Ort und wir müssen über die gleiche wieder heraus. Anwohner, die uns sehen winken, halten uns an und begrüßen uns mit: „Welcome in America. Thanks for visiting our country“! Hier gefällt es mir so gut, dass ich (Petra) mich nur schwer von diesem kleinen Ort trennen kann. Wir fahren noch durch die Häuseransammlung namens Michael und übernachten in dem verschlafenen Ort Kampsville direkt an der Fähre, die wir am nächsten Morgen auch zum überqueren des Illinois River nehmen. Auf unserem Rückweg erreichen wir an der Mündung des Illinois River in den Mississippi den etwas touristisch angehauchten, aber jetzt im November auch unbelebten Ort Grafton. Hier gibt es gebratenen Catfish (Wels) aus dem Mississippi.
Zurück auf der Route 66 besichtigen wir noch an die ehemalige Maut-Brücke über den Mississippi, inzwischen eine der längsten Fussgängerbrücken der Welt. Diese Brücke weist eine Besonderheit auf: Sie ist in der Mitte ca. 20 Grad geknickt und nicht gerade über den großen Fluss geführt. Es gab wohl bei dem Errichten das Problem, dass nur in dieser Bauweise die Fundamente der Pfeiler auf festem Fels errichtet werden konnten. Anschließend führt uns die Strecke über eine modernere Brücke nach St. Louis im Staat Missouri.